Von Schlitzohren und Minnesängern

Wer hätte das gedacht: Riedenburger hatten mit der Entstehung Österreichs zu tun, taten sich als „Schlagersänger des Mittelalters“ hervor und trieben Brückenzoll auf der „Steinernen Brücke“ in Regensburg ein. Wie es dazu kam und einiges mehr berichten „Zeitzeugen“: Burgvogt Gunther der Gebartete und Landgraf Otto II. nehmen Neugierige bei Führungen mit auf eine Reise ins Mittelalter.

„Lüpfet Euer Haar und lasst mich Eure Ohren sehen!“ fordert Landgraf Otto II. Zum Auftakt der Historischen Stadtführung in Riedenburg wird genau hingeschaut, schließlich soll sich kein „Schlitzohr“ Zugang verschaffen. Die meisten der Teilnehmenden wissen vermutlich gar nicht, woher dieser Ausdruck kommt – und erfahren es nun praktisch aus erster Hand von einem „Zeitzeugen“, denn die Gästeführer vom Verein Historisches Riedenburg e.V. erwecken für die Tour mittelalterliche Persönlichkeiten „zum Leben“: Die Teilnehmenden sind entweder mit Burggraf Heinrich III. oder seinem jüngeren Bruder Landgraf Otto II. unterwegs, die beide historisch belegt sind. Oder es begleitet sie Burgvogt Gunther der Gebartete – „Mein Waffenknecht, Mundschenk, Herold und Verwalter“, stellt Landgraf Otto ihn vor. Er taucht zwar in keiner historischen Quelle auf, wirkt mit Helm, Kettenhemd und Schild aber sicher nicht weniger überzeugend. Bis zu den ledernen Stiefelspitzen haben die Herren sich so herausgeputzt, als seien sie dem 12. Jahrhundert entstiegen. „Das muss schon sein“, findet Burgvogt Gunther. In den Sommermonaten sind er und seine Vereinskollegen jeden Montagabend um 18 Uhr als Gästeführer unterwegs, außerdem wird die Führung gern von Gruppen gebucht. Kurze Wegstrecken, viele Sitzgelegenheiten und eine stufenlose Variante machen den Rundgang auch für ältere Gäste ideal. Manche verbinden die etwa einstündigen Tour zum Beispiel mit einer Schifffahrt auf dem Main-Donau-Kanal.

In ihrer Aufmachung ziehen die Gästeführer alle Blicke auf sich. Einen kleinen Jungen im Eiscafé hält es kaum auf seinem Stuhl, als er den „Ritter“ entdeckt hat. Einige Passanten kennen das Schauspiel schon und grüßen, worauf Landgraf Otto – ganz in der Rolle – ein freundliches „Gott zum Gruße“ erwidert. An verschiedenen markanten Orten in der Altstadt vermitteln die Stadtführer Wissenswertes über Riedenburgs Geschichte und das Leben im Mittelalter. Am Marktplatz, direkt vor der Tourist-Information im alten Rathaus mit dem auffälligen Türmchen, geht es etwa um die Entstehung der Stadt. „Was war zuerst da, die Stadt oder die Burg?“ fragt der Burgvogt, um anschließend zu erklären, wie viele mittelalterliche Siedlungen sich entwickelten: Ein Ort, von dem aus sich die Landschaft gut überblicken ließ, wurde mit einer Burg befestigt und bemannt. Die Besatzung musste mit allem Lebensnotwendigen versorgt werden, also siedelten sich Bauern und Fischer in der Nähe an und schließlich entstand ein Dorf. Aus dem Dorf entwickelte sich ein Markt und daraus eine Stadt, die durch eine Mauer geschützt wurde und die einen einfachen Grundriss hatte: ein Straßenkreuz mit dem Markplatz in der Mitte – ganz so, wie man es in Riedenburg heute noch erkennt.

Am Aussichtspunkt Schwammerl in Riedenburg

Geheimnisvolle Burgruinen

Auch eine Burg thront noch immer gut sichtbar über der Altstadt. Allerdings ist die stolze Rosenburg nicht das älteste Bauwerk vor Ort, wie Gunther der Gebartete an der nächsten Station des Rundgangs erklärt: „Die Ruine Rabenstein war vermutlich die erste Burg, die es in Riedenburg gab, aber sie war auf einem ganz engen Felsen gebaut, sodass sie wahrscheinlich bald zu klein wurde. Dann hat man die Rosenburg wesentlich größer und repräsentativer gebaut.“ Neben ihr liegt sogar noch eine weitere Ruine: Burg Tachenstein wurde wohl von einem konkurrierenden Adelsgeschlecht errichtet. „Der Sage nach soll es von Tachenstein zur Rosenburg einen Geheimgang geben. Aber Irrlichter haben dort angeblich schon einige zu Tode gebracht“, weiß Landgraf Otto II. zu berichten. Gar nicht geheim und auch weniger gefährlich ist der Drei-Burgen-Steig, der die beiden Ruinen und die Rosenburg miteinander verbindet. Etwa zweieinhalb Stunden, meint der Burgvogt, solle man für die Tour einplanen, und auf gutes Schuhwerk achten. „Die Rosenburg ist aber auch mit der Blechkutsche zu erreichen“, ergänzt der Landgraf. Der Besuch lohnt sich auf jeden Fall: Heute beherbergen die Mauern den Falkenhof Schloss Rosenburg, der während der Saison täglich außer montags Flugvorführungen veranstaltet.

Erbauer beider Burgen waren die Babonen, das Riedenburger Grafengeschlecht. Dessen Geschichte beginnt im Jahr 976 mit Graf Babo I., der damals zum Burggrafen von Regensburg ernannt wurde. Dieser sollte für den Kaiser in Regensburg nach dem Rechten sehen. „Mein Vater, Burggraf Otto I., brachte der Familie den größten Machtbereich“, berichtet Landgraf Otto II. „Er war auch bei der Bevölkerung sehr beliebt.“ Zu seiner Zeit wurde in Regensburg mit dem Bau der Steinernen Brücke begonnen – damals ein äußerst modernes Bauwerk. Auch in anderer Hinsicht zeigte Otto I. sich fortschrittlich, wie der Sohn augenzwinkernd erzählt: „Es war damals üblich, die Töchter gewinnbringend zu verheiraten, um in der Gunst des Kaisers aufzusteigen oder einen Nachbarn zu versöhnen, mit dem man Streit hatte. Mein Vater machte aber auch vor uns Söhnen nicht halt.“ Der Ältere wurde mit Berta von Babenberg verheiratet, Otto mit Adelheid von Wittelsbach. Ein typisches Schicksal jüngerer Söhne blieb ihm dadurch aber erspart: Er musste keine kirchliche Laufbahn einschlagen, sondern wurde stattdessen Landgraf.

Ein Burggraf wird zum Verbannten

Der ältere Bruder wurde als Heinrich III. Burggraf und war als solcher sogar an der Gründung Österreichs beteiligt: Um Streitigkeiten unter den Herzögen zu beenden, machte Kaiser Friedrich Barbarossa 1156 in Regensburg kurzerhand den östlichen Teil Bayerns zum Herzogtum Österreich und sprach es Heinrichs Schwager zu. Der Riedenburger hatte den Auftrag, die ganzen zu diesem Anlass versammelten Edelleute und ihr Gefolge standesgemäß zu verpflegen. Obwohl er diese Mammutaufgabe offenbar gut meisterte, hatte er jedoch kein gutes Verhältnis zum Kaiser. Das Zerwürfnis ging so weit, dass er schließlich sogar ins Exil gehen musste. Nach seiner Rückkehr lebte er unerkannt als Einsiedler in Ebrantshausen, wo er auch begraben ist. 

Die Grafen von Riedenburg hatten politischen Einfluss – Adelheid von Riedenburg brachte es gar bis zur Königin von Ungarn. Bekanntheit erlangten sie aber nicht zuletzt als Dichter. „Heinrich III. war einer der führenden Minnesänger, die diese Kultur zum Blühen gebracht haben“, berichtet Burgvogt Gunther. Davon zeugt, dass seine Werke in die Menassische Liederhandschrift aufgenommen wurden, eine Art „Sammelband“ der bekanntesten Minnelieder. Auch das Wappen der Grafen von Riedenburg könnte mit dem lyrischen Talent der Familie in Verbindung stehen: Es zeigt drei Rosen. „Die Rose ist in der Heraldik wie auch heute noch ein Symbol für die Liebe“, erklärt der Burgvogt. „Nur nannte man es damals nicht Liebe sondern Minne.“ Wie die „Schlagersänger des Mittelalters“ könne man sich die Dichter vorstellen.

Auch nach dem Niedergang der Babonen – Ende des 12. Jahrhunderts war die Linie schließlich erloschen und das Erbe fiel an die bayerischen Herzöge – lag wohl ein kulturelles Zentrum nahe Riedenburg: die Burg Prunn. Dort wurde der „Prunner Codex“ entdeckt, die viertälteste Handschrift des Nibelungenlieds. Burgenfans erreichen die gut erhaltene Ritterburg von Riedenburg aus auf einem Abschnitt des Altmühltal-Panoramawegs, der sie durch märchenhaften Wald und zu weiten Ausblicken führt.

Von Gerstenbrei und „gefährlichem“ Bier

Die Stadtführung macht nun am Ufer des Main-Donau-Kanals Station. Zu Zeiten der Babonen floss hier noch die Altmühl, doch Enten gab es wohl damals wie heute. „Vogt, ich sehe unser Abendessen!“ ruft Landgraf Otto beim Anblick zweier gut genährter Exemplare. Doch das „Abendessen“ rettet sich mit einem Sprung in den Kanal. „Wieder nur Gerstenbrei“, seufzt der Adelige – die perfekte Überleitung für einige Infos rund um die Ernährung im Mittelalter. Denn auf der Burg wurde keineswegs fürstlich geschlemmt. „Die Kartoffel und viele Gemüsesorten gab es noch gar nicht“, ruft Gunther seinem Publikum in Erinnerung. Dafür war das Klima damals milder, sodass auch im Donau- und Altmühltal Wein angebaut wurde. Keine schlechte Sache, denn es gab verschiedene Gründe, sich vor dem Bier zu hüten. Mehr darüber erzählen die Gästeführer auf einem Fußweg entlang der Schambach, der an einer ehemaligen Brauerei vorbeiführt.

Hier folgt die Tour ein Stück weit dem ehemaligen Verlauf der Stadtmauer. Ein Häuschen mit Legschieferdach liefert den Anlass, über die Brandgefahr in der mittelalterlichen Stadt mit ihren Holzhäusern, Strohdächern und offenen Feuerstellen zu sprechen. „Viele denken, der Nachtwächter sollte nach Dieben Ausschau halten, aber seine Hauptaufgabe war es zu schauen, ob irgendwo ein Feuer ausbricht, damit man die Ausbreitung verhindern konnte“, berichtet Burgvogt Gunther.

Zwei Männer in Mittelalter-Kostümen

Ein Wegweiser zur Rosenburg, wo der Burgvogt seinen Dienst versah und Landgraf Otto seine Kindheit verbrachte, kommt in Sicht – der Anlass für Letzteren, noch etwas über das Aufwachsen im Mittelalter zu erzählen. Zurück am Marktplatz schließt sich der Kreis. Bevor die Stadtführer ihre Zuhörer wieder ins 21. Jahrhundert entlassen, gibt es aber noch ein besonderes Abschiedswort: Einige Zeilen aus den Minneliedern von Heinrich III. bilden den perfekten Abschluss für die Zeitreise.

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